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„Bestimmtheit der Strudel I“




        4 x 21 m, Acryl auf Dispersion, Saarlandmuseum, Saarbrücken, 17.06. – 04.09.2023




      BvH: Wir sitzen am Ende von zwei intensiven Wochen vor
        unseren drei Wänden, insgesamt 4 mal 21 Meter, nach
        aufwändigster digitaler und analoger Vorbereitung: Keine
        Setzung ist dem Zufall überlassen. Die Entwurfsarbeit am
        PC dauerte länger als die Zeichnung vor Ort.
      WF: Der Arbeit ist anzusehen, dass wir beide keinen Abstand
        mehr halten, dass es kein Links oder Rechts mehr gibt und
        unsere Zeichnungen sich völlig durchmischen.
      BvH: Nur kleine Inseln können eindeutig zugeschrieben
        werden. Wir behalten unsere Handschriften. Du hast eine
        große Spanne von Feinstarbeit, etwa im Schwein, und
        dickeren, aquarellhaften Linien, die sich von deinen Kohle-
        zeichnungen ableiten.
      WF: Beim Vergleich dieser Arbeit mit der Wandgestaltung in
        Saarlouis ist deutlich zu erkennen, dass ich mit dünneren
        Pinseln arbeitete. Dadurch wirkt unsere Zeichnung homo-
        gener, die Übergänge sind fließend. Du nimmst mit deinen
        bedachten Linien das Zuviel an Energie und Wucht meiner
        Linien wieder zurück. Deine Zeichnungen haben für mich
        eine gewisse Andacht mit dem Blick nach innen.
        Darin liegt der Reiz unserer Zusammenarbeit: die Gegen-
        sätzlichkeit. Eine Wand, von mir alleine gestaltet, würde
        den Betrachtenden wahrscheinlich sofort anspringen und
        förmlich überrollen. Bei dir ginge die oberflächliche Rezi-
        pient*in vielleicht einfach weiter, weil ihr alles zu gleich-
        förmig erscheint. Doch die suchende Betrachter*in wäre
        von deiner inhaltlichen Seite stärker berührt als bei mir.
        Von dir lerne ich, dass es nicht nur allein auf das Schießen
        ankommt, sondern vor allem auf das Treffen. Alles, was du
        machst, ist auf den Punkt gebracht. Ich bin radikaler!
      BvH: Es gibt gewonnene, gegenstandslose Strukturen, die mit
        großer Zärtlichkeit neu gesetzt werden. Für den Gesamtzu-
        sammenhang sind sie wichtig, ohne lesbar zu sein.
        Wir wollen aber auch erzählen und vergegenwärtigen. Des-
        wegen stimmt der Begriff Historienbild. Es ist ein riesiges
        Panorama unserer jetzigen Zeit.
        Am Ende gab es viel Nachdenken über eine wuchtige, neue
        Schicht, etwa einen Baumstamm oder eine weitere Figuren-
        gruppe von Philipp Otto Runge. Dann gingen wir den ent-
        gegengesetzten Weg und befreiten Weißflächen von nicht
        notwendigen Binnenstrukturen.
        Rechts und links ist die Maßstäblichkeit etwas größer, und
        wir sind expressiver. Die Mitte erscheint komplexer.
        Gewalt zeigt sich in deinen Pistolen oder in den phallischen
        Formen. Aber immer sind wir auch witzig, etwa im
        Adventskranz, in den Hirschen und in den Häschen.
      WF: Beim Betrachten deiner drei liegenden Figuren in der
        unteren Bildmitte fragt man sich, was sie da eigentlich tun.
        Die Decke hebt sich, weil sich darunter etwas regt.
      BvH: Das Flugzeug ist zergliedert und überwuchert. Du hast
        von Pilzen gesprochen, wie ein Befall der ganzen Technik.
      WF: An dieser Stelle durchmischen sich unsere Zeichnungen
        am meisten. Aus diesen Strukturen wachsen Körper, und
        ein zerlegtes Flugzeug schiebt sich aus dem sich öffnenden
        Raum. Darüber treiben Gestalten im Wasser. Ich versuche


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