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Klopapier und Rasenstücke

BvH: Meine Mittel sind seit 1989 Eitempera und Ölfarbe. nehmen Flüssigkeiten auf, die ich auch mit meinem Arm
Kohleelemente waren mir auf Grund der feinsten Beschrei- ableite. Und natürlich war da meine Genugtuung, dass
bungsmöglichkeiten von 1994 bis 2003 essenziell. Ich malte die im Atelier platzierten Objekte kaum mehr zu unter-
sicher mehr als 200 große Bilder in den drei Jahrzehnten, scheiden waren von der hyperrealistischen Abbildung auf
die immer realistischer wurden, bis zum Hyperrealis- meinen Arbeiten!
mus mit den allerfeinsten Pinseln. Atelierarbeit war hart WF: Hast du mal die Notwendigkeit gespürt, die Weißflächen
erkämpft, denn 2000 übernahm ich eine Professur an der zu füllen oder den Fond farbig zu grundieren?
Universität Dortmund für Zeichnung und Druckgraphik; BvH: Das Irreale, das Kühl-Distanzierte, das Sezierende
ein riesiger Umzug musste gelingen, und unsere kleine interessiert mich mehr. Ich entschied mich für kümmer-
Tochter brauchte ein neues Heimatgefühl. Ich schuf ihr liche Reste von Bäumen, entastete Stämme, Wurzelpakete,
ein vertrauenswürdiges Beziehungsgeflecht. Volker (mein Plastikbäume. Meine Arme hängen wie große Zöpfe an der
Mann) erhielt eine Professur an der Staatlichen Akademie in Figur. Eine Barbiepuppe hat meine Lebensgröße und stellt
Stuttgart und war regelmäßig dort. die Frage nach der Haut. Alles ist am Wippen und Kippen.
Ich entwickelte immer feiner ausgeführte Oberflächenbe- In den Löffeln spiegele ich mich. Ich bin verstrickt in den
schaffenheiten, Haut, Materialien aus mir vertrauten Berei- Schläuchen und werde zwangsweise gefüttert.
chen wie Erde, Brot, Bauschaum, Holz, Pilzbefall, Klopapier, WF: Es wird immer skurriler! Ich muss manchmal an Neo
Tüchern, Rasenstücke und immer wieder Schwäne. Auf- Rauch denken, doch du hast eine völlig andere Erzählweise.
geblasene Gegenstände, also Schwere vortäuschende Dinge, BvH: Er hat den geschlossenen Raum und eine altmeisterliche
begleiten mich seit Jahrzehnten: Dekoartikel, Plansch- Färbung. Ich bin viel kühler, so wie du das eben beschrieben
becken, Luftmatratzen, Schwimmtiere. hast. Und gleichzeitig bin ich durch meine Selbstfigur
Großartig war es, dass ich mir in der nahegelegenen Tier- äußerst betroffen, Neo Rauch hat eine größere Distanz zu sich
präparationsschule in Bochum Tiere leihen oder kaufen selbst. Ich habe ein Vokabular, das mich unmittelbar betrifft.
konnte, wie den Schwan, einen Leoparden, Rabenvögel, ein Die Haut als Wahrnehmungsorgan interessiert mich. Ich
Wildschwein, ein Hausschwein, Pferde oder Schafe. Zudem besuchte oft das medizinhistorische Museum in Berlin mit
kaufte ich präparierte Hunde. Jedes Mal baue ich mir Instal- den erschreckenden Präparaten von Totgeburten. 2006 wird
lationen auf, um zu erkennen, etwa wie das Wasser auf die die Sexualität stärker zum Thema. Ein Bündel aus Orangen-
Rundungen trifft. Oder ich grabe mir ein Stück Wiese aus, stücken verschließt die Scheide. Die Frau wird von sie
pflücke täglich Brennnesseln, kaufe mir jeden Tag eine Tulpe befallenden Kindern verriegelt („Stammschutz“, S. 62). In
– die Natur wird herausgerissen und verstümmelt. allem ist auch Witz, z.B. in „Kreuzstücke“ (S. 60): Ich möchte
WF: Deine damaligen Leinwände sind sehr „clean“. Alles wirkt wie eine Mickymaus aussehen. Gleichzeitig ist hier die
kalt und erstarrt. Trotzdem gibt es immer wieder diese Frage, was Brüste sind: Säckchen, Luftspeicher? Eine Brust-
Korrekturen, also den „reuigen“ Strich. krebsdiagnose bestätigte sich glücklicherweise nicht.
BvH: Zwischen den Farbinseln ist viel Prozess in den Kohle- WF: Mir erscheinen diese Ohrformationen in „Kreuzstücke“
linien ablesbar. Man spürt das Ringen. Und beim genauen wie eine keltische Blattkrone. Man vermutet, dass sie eine
Betrachten der einzelnen Motive verwandeln sich die Stellen Verbindung zur Götterwelt darstellte. Manches in deinen
in reine Malerei: Wie im Pointillismus ergeben sich Farb- Bildern erinnert in der Tat an das schamanische Weltbild,
klänge erst im Abstand. Die Eitemperapartien setzen sich in dem alles beseelt ist.
aus gestischen Borstenpinselstrichen zusammen. Den Farb- BvH: Ich löse Körperteile aus dem Zusammenhang, erprobe
reichtum von heute erreichte ich damals noch nicht. und befühle diese Elemente wie die Augen, die Stirn, den
WF: Du wirst über die Jahre immer feinfühliger in deinen Be- Mund, Brüste, Beine. Einen Schwan gieße ich in einen
obachtungen, entdeckst im Verborgenen und konzentrierst Trichter aus Luftmatratzen; schwarze Feigenkakteen dringen
dich auf Lichtbrechungen oder Reflexe an Oberflächen, die heraus. („Ausschüttung“, S. 60)
durch benachbarte Gegenstände verursacht werden. Damit WF: Die Tiere nehmen die Form von einem Gegenstand an,
erhöhst du deren Zusammenhalt im Bild. und du kehrst die Bedeutung der Dinge um, löst sie aus
BvH: 2004 kaufte ich mir zunehmend kitschige oder banale ihrer Zweckgebundenheit.
Gegenstände: gemusterte Wachsdecken, Seifenschälchen BvH: Genauso ist es. In „Lungenblasen“ war ich tief berührt
mit Noppen, Glühbirnen als Brustwarzen. In der Mutter- von einer menschlichen Spende, einer präparierten Lunge
rolle verändert sich meine Sicht auf die Dinge: einen Befall aus der Anatomie in der Universität Bochum. Ich blase in
der bildbestimmenden Gestalt mit pilzartigen Überwuche- die Luftröhre wie in einen Luftballon. Eine große Korres-
rungen erkläre ich mir damit. Bilder „schaukeln“, bewegen pondenz entsteht zwischen der Luftröhre und den Fahrrad-
sich, rutschen weg. Immer wieder scheidet die Figur aus schläuchen, dann wieder zwischen Lunge und struppigem
oder graben sich Dinge in die Ichfigur. Eine Freundin hatte Schaukelpferd.
Krebs. Es war eine Art Selbstversuch, der Krankheit in mei- Viele Suchprozesse kannst du in den Weißflächen beobachten.
ner Malerei nachzuempfinden, was mich zutiefst berührte. Ein Museumsleiter empfahl mir, diese zu cleanen. Ich bin
So breite ich in „Ableitung“ (S. 63) meinen Bauch wie einen mir jedoch sicher, dass ich das Ringen und die abgelaufene
Vorleger aus und stelle mich selbst darauf. Die Schüsseln Zeit sichtbar lassen möchte.

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