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2007 trieb mich immer noch das Kind-Thema um: Ich füttere WF: Du hast jedoch die Technik nie zum Selbstzweck erhoben,
den Säugling, die Kirschen springen zwischen den Mündern sondern stets in den Dienst der Inhaltlichkeit gestellt.
hin und her („Rückwärts“, S. 63). BvH: Die Leere vor der Frau im Raum ist zentral. Ich extrahiere
Ich werde zur Vasenskulptur („Hedwigs Punkte III“, S. 65). die Dinge und bejahe sie entschieden („Lagunen“, S. 66).
Ich erschieße mich mit Wasserpistolen („Ophelia“, S. 63). In allem ist gelebtes Sein: hingeworfene Kleidungsstücke
WF: Die Welt um dich scheint immer fremder zu werden! Mich zum Waschen (S. 67), tote Flamingos, die ich wie Kuchenteig
erinnert manches an die flämischen Maler mit ihren Vanitas ausrolle („Fruchtsäurebehandlung“, S. 65).
Stillleben: Memento Mori – Gedenke des Todes! In jeder WF: So, wie du mit manchen Dingen umgehst, hat man den
Kirsche spiegelt sich der gesamte Raum und die Symbole des Eindruck, du würdest diesen Gegenstand zum ersten Mal
Todes sind allgegenwärtig. Waren es bei den Altmeistern die sehen oder du hättest dein Gedächtnis verloren und wüsstest
Totenschädel oder verwelkten Blumen, so sind es bei dir aus- nicht mehr, wozu er da ist oder wofür er gebraucht wird. Die
gestopfte Tiere und aufgeschnittene Früchte, die dem Zerfall Bedeutung und Bestimmung scheinen im Umgang verloren
geweiht sind. gegangen zu sein.
BvH: Ich formte virtuelle Pflanzen, Kakteen ohne Bodenhaftung, BvH: Ein guter Gedanke! Selbst mein eigener Körper bleibt mir
laufende Kreuze aus Stacheln. Ich liebe die Überschreitung fremd und bei jeder Betrachtung erstaunlich.
des Möglichen: ich als Zentaur, Babyköpfe saugen sich an den
Birken fest, ein Schlauch bildet die Silhouette eines Pferdes,
Plastiktüten mit der ganzen Habe einer Obdachlosen oder
einer zerstückelten Leiche („Pferdehalterin“, „Boxen“, S. 61).
WF: Du treibst deinen Realismus von Bild zu Bild mehr auf
die Spitze.
BvH: Es hat mich alles täglich ins Atelier getrieben! Jeden Tag
mit einem neuen Pfannkuchen, sie pflastern die beinlosen
Schafe, ich durchschossen im getragenen Pferd, eine Unter-
suchung der Gebärmutter mit hineingreifenden Armen
(„Zerfall, warm“, „Mähne“, „Mutterprobe“, S. 64, 65 und 67).
WF: Du hast offenbar in Form von Stellvertretern etwas los-
werden müssen. Das Hässliche und Schreckliche wird zu
deinem Thema. Doch es gibt auch die andere Seite…
BvH: Die Schönheit steckt in der Malerei. Wer sich das Original
anschaut, weiß, dass es herrliche Farben in feinster Beschrei-
bung sind, um die es mir auch geht. Witten, 2005
Galerie der Stadt Backnang,
„Bettina van Haaren, Der vierte Gesang“,
2006, „Ausschüttung“, 2005, „Kreuzstücke“, 2005
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