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Geburtsversuche und Treibholz
BvH: Mit dem Hochdruck fing ich schon zu Beginn des Stu- im Vergleich zur Malerei – das verrückte Zusammenfügen
diums an, 1982. Zunächst nutzte ich immer Holz, oft auch von Dingen einheitlicher durch das Schwarz.
in großen Formaten wie 90 x 120 Zentimeter. Die Lagerung WF: Du bist virtuos beim Schneiden, etwa wie du eine Strumpf-
und Rahmung waren immer ein Problem. In den 80er und hose mit einzelnen Maschen löst! Zudem finde ich dein
90er Jahren trat zu dem Schwarz eine Farbe hinzu, oft als Geburtsthema sehr eigen.
Ölfarbe und ganz bewusst mit einem Fettrand auf dem BvH: Es stellt sich die Frage: Gibt es weibliche und männliche
Papier als eine Art Schatten, der dinglich macht. Thema Kunst? Die Formsprache ist sicher nicht geschlechterspe-
war die Suche nach dem weiblichen Ich, Schwangerschaft, zifisch. Meine Inhaltlichkeit erscheint mir dagegen nur als
Fruchtbarkeit, die Venus, die Eva, die biblische Heimsu- Frau möglich. Es war ein Ringen um die Positionierung als
chung. Meine animalischen Ichfiguren haben euterartige Mutter im Kunstbetrieb und ein permanenter Kampf um die
Brüste, schwere Bäuche, verschließende Armbewegungen. Zeit für das geliebte Kind. Die Strumpfhose als Schutzraum
Mich interessierten die etruskischen Grabfiguren mit ihren blieb ja Thema bis in die heutige Zeit, 30 Jahre später! Hier
gelagerten Leiben und ihrem ornamentalen Rankenwerk. wickelt sich ein Gummi um die Beine wie eine Bewegungs-
Dann tauchten auch Kindfiguren auf, aus Sehnsucht, aber hemmung.
mit innerer Verweigerung. WF: Mich erinnert das an Fesselungen. Ich hatte solche Einen-
Die Arbeiten bestehen aus monotypisch abgeriebenen Stem- gungen zum Thema meiner Radierungen gemacht.
peln, nicht selten aus bis zu sieben Stücken. Die Grauwerte BvH: In den 90ern beflügelten mich viele Ausstellungen mit
verdichten sich zu einem satten Schwarz. Katalogen. Die Holzschnitte machte ich mit ungeheurer
WF: Hast du größere Auflagen gedruckt? Gibt es die Platten noch? Energie für eine Ausstellung in Saarbrücken. Zudem ging
BvH: Eine Edition bestand meist aus 15 Exemplaren. Die Arbeit eine herrliche Kraft von der kleinen Paula aus.
an den Stempeln war so aufwändig und die Setzungen WF: Die 90er Jahre waren üppig, auch für mich. In den 30er
eher bildhauerisch, dass ein Unikat Verschwendung von Jahren des Lebens hat man die volle Kraft.
Arbeitszeit bedeutet hätte. Die Platten gibt es noch, leider BvH: Wir beide haben an die Fläche geglaubt. In der Digital-
sehr ungeordnet. Das Pappelsperrholz war vier oder sechs und Beschleunigungswelt von heute ist es schwerer, an der
Millimeter dick. Brüchigkeit, der Expressivität im Viereck festzuhalten.
WF: Sind die Platten bei der geringen Dicke nicht zerbrochen? WF: Das selbst bewältigte Handwerkliche hat keine große
BvH: Es blieben filigrane Puzzlestücke! Innerhalb des offenen Bedeutung mehr. Viele erfolgreiche Künstler*innen lassen
Prozesses schnitt ich weitere Stempel. Als Paula auf der Welt ihre Ideen heute von anderen ausführen, was dazu führt, dass
war, wurde ich noch mehr zur Druckerin, die nachts vor sich das künstlerische Tun mehr und mehr in eine Entwurfs-
allem schnitt, dank Babyfone! und Planungstätigkeit am Rechner verwandelt hat. Die Kunst
Für die Stempel brauchte ich auf Grund der Dünne des wird berechenbarer.
Materials keine Säge, ausschließlich Cutter. Zudem ermög-
lichte mir das weiche Holz eine Art Holzstich: Ich konnte
feinste Linien mit der Radiernadel hineindrücken und somit
einen gewissen Realismus im Hochdruck erzeugen. Es gibt
Körbe, Tannenzweige, Zöpfe, Netze.
WF: Wie entwickeltest du die Bildideen?
BvH: Es gibt ähnliche Setzungen in der Malerei, die ich über-
nahm. Die Geburt war ein großes Thema in den 90er Jahren.
Das Kind ist noch so sehr mit mir verbunden, dass ich es
als einen Teil von mir empfand. Oft bereite ich ihm ein Nest
aus Wolle oder Korbstruktur. Die Knäuel wirken manchmal
auch wie Exkremente. Die Geburtsszene führte zur Doppel-
köpfigkeit in Gleichberechtigung von beiden Fortsetzungen
des Rumpfes. Parallel interessierte mich die Daphne, also
die Metamorphose von sexueller Frau zu lebendiger, aber
unbeweglicher Natur. Ich bewuchs meine Ichs mit Tulpen,
Pusteblumen oder durchzog sie mit Nadelbaumästen. Auch
die Kindfiguren konnten durch die Äste nicht mehr heraus-
rutschen und verklammerten sich mit der Gebärenden.
Susanna beschäftigte mich sehr, die von zwei Alten miss-
braucht wurde. Rembrandts Bild lag als Reproduktion
ständig neben mir. Sie brütet ein Kind aus. Geburtsversuche
nannte ich all diese performanceartigen Umgänge. Das Kind Zopfträgerin, 1995,
Holzschnitt, 93 x 116 cm
wird erschreckenderweise auch in Treibholz hineingeboren,
fließt ab, wird gedrückt, geschoben. Im Hochdruck wurde – Venus, 1990,
Holzschnitt, 56 x 96 cm
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