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Santa Maria 2023
BvH: Wir wollen über den Sinn des Zeichnens, die Verdichtung
und die Wertigkeit sprechen, insbesondere in Bezug auf
digitale Medien. Deine Filme und meine beiden neuen
haben einen Witz, eine Präsenz und eine Unmittelbarkeit,
die die Zeichnung nie erreichen kann. Die ist immer
abstrakt und distanziert.
WF: Spannend finde ich jedoch, es trotzdem mit dem Zeichnen
zu probieren! Hier war das Zeichnen ein großes Ringen mit
den Witterungsverhältnissen.
BvH: In meinem Leben zeichnete ich kaum Landschaft. Hier
fand ich wenig, das mich interessiert, außer Wolken, die
nicht begreifbar waren. Mit meinem suchenden, langsamen
Strich gelang es mir nicht, ihnen Gewicht zu geben.
Ich kann nicht schauen und parallel zeichnen wie Du. Alles
bemesse ich mühsam. So habe ich meinen präparierten
Dober mann, einen Soft-Dummy, in die Landschaft getragen!
WF: Deine Idee mit dem Hund fand ich zwar etwas schräg,
aber vielversprechend. Dein Bemessen einer Landschaft ist
ebenso „verrückt“, wie einen präparierten Hund in solch
eine großartige Natur mitzunehmen. Aber gerade darin
liegt ja der Reiz, es zu tun. Mir geht es bei einer Landschaft
mehr um die Idee, die in allem steckt. Statt eine Ähnlich-
keit anzustreben, spüre ich Energien und Rhythmus auf
und bemühe mich um ein fließendes Niederschreiben.
BvH: Um in der Analogie des Schreibens zu bleiben: In deinen
Arbeiten hast du ganze Sätze oder sogar Aufsätze! Dagegen
bleibe ich oft im Wort stecken, manchmal auch in Buchsta-
ben! Mir fehlte ein Gewicht, mein Abdruck.
WF: Das Zustandekommen deiner Zeichnungen mag mühsam
sein, entscheidend ist doch das Ergebnis. Das „Nichtvoran-
kommen“ gibt deinen Zeichnungen einen ganz besonderen
Duktus. Dein Zweifel ist mir lieber als die Gewissheit vieler.
BvH: Du hast eine andere Disparatheit angestrebt, indem du
in deine Landschaften in zeitlichem Abstand komische
Figuren gesetzt hast. Diese agieren und verschieben die
Maßstäblichkeit. Sie tun sich weh, bringen sich um, verlie-
ren ihre Gliedmaßen und werden Stellvertreter*innen, wie
Kriegsteilnehmer*innen. Sie sind ruppig gezeichnet und
voller Gegenbewegung zum bisher Gesetzten, sie befrem-
den und überschneiden die Geflechte. Diese Unumstöß-
lichkeit und Dringlichkeit, diese Notwendigkeit habe ich
auch angestrebt.
WF: Die Linie wird uns wohl ein Leben lang wegen ihrer Un-
erbittlichkeit faszinieren, bohrend in Abgründe zu schauen.
Der Film ist ein willkommener Gast, davon wieder
Abstand zu nehmen.
Dobermann am Umbrail,
Kohle auf Papier, 42 x 59,4 cm, 2023
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