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Hunde, Sex und Rosen










      WF: Beim Hochdruck auf Baumstämmen gehe ich prozess-  einer Rasterung. Helm, Schwimmweste, Gurte und Seile lehnte
        haft-offen vor. Es beginnt damit, dass ich die Rinde entferne   ich bewusst ab, weil ich mich mit der schweren Schutzkleidung
        und das Holz mit dem Hobel glätte. Der Stamm wird weiß,   zu unsicher fühlte.
        mit einem zarten Rosa und ist noch sehr feucht. Ich färbe   BvH: Hast du je die Farbe für den Hochdruck erkundet?
        ihn dann mit schwarzer Farbe ein und schneide mit meinem   WF: In China beobachtete ich Künstler*innen, die mit sechs oder
        schmalen Hohlbeitel Linien in die Oberfläche (vgl. S. 82 u. 83).    sieben Platten Malerei in Holz umsetzten, aber das war nie
        Zu diesem Zeitpunkt ist meistens noch keine konkrete Idee in   mein Ansatz. Ich suche diese Sprödigkeit von Holz und die
        meinem Kopf, es überwiegt die Freude am Schneiden.    Unwiderruflichkeit des Tuns. Dazu brauche ich keine illusio-
        Aus dem entstandenen Liniengeflecht, das mehr und mehr   nistische Drucktechnik. Für mich ist die Verhältnismäßigkeit
        den Stamm umhüllt, entdecke ich oft Tiergestalten, Fabelwe-  der Mittel ein wichtiger Aspekt.
        sen und Figuren, die ich freistelle. An einem vorläufigen End-  BvH: Ganz vieles trifft ja auf mich zu. Wie du sagst: Es ist ein ris-
        punkt drucke ich auf Papier. Es braucht Tage, um mit großer   kantes Arbeiten, es splittert, die Maserung steht der Schneide-
        Mühe einen ausgereiften Bearbeitungszustand herzustellen,   richtung entgegen, es entsteht eckige Brüchigkeit. In den letzten
        und dann treibt mich die Lust auf Zerstörung an. Ich ramme   Jahren wollte ich die Schwarzlinie in der Dicke reduzieren und
        einen Baumentrinder oder eine Axt in die Baumoberfläche   habe mich deshalb für Linoleum entschieden. Immer ist es das
        und schaffe damit eine völlig andere Ausgangssituation.   Skulpturale und das Schwarz der Buchdruckfarbe, die mich
        Die Stämme haben meistens eine Krümmung. Beim Dru-  reizen. Aus konzentrierten Linien baue ich ein Gebäude und
        cken würden Falten entstehen. Deshalb teile ich mir den   erzeuge eine Raumwirkung. Die Fläche würde die angestrebte
        Stamm in Abschnitte auf, drucke sie getrennt und klebe sie zu   Gleichgewichtigkeit aller Dinge durch die Pointierung auf-
        einem Werk zusammen. Auf diese Weise bilden sich Größen   heben. Außerdem erprobe ich im Hochdruck, wie weit ich
        von fünf mal drei Metern (vgl. S. 80 u. 81). Ich nahm von den   mit der Leere gehen kann, und übertrage das in die Malerei.
        etwa 30 Stämmen, die bisher entstanden sind, nur von den   Anders als bei dir ist das Ergebnis des Schneidens so extrem
        ersten zehn Stämmen Drucke ab. Später verzichtete ich ganz   aufwändig. Es dauert oft Wochen, bis ich die Druckplatte als
        darauf. Das Abreiben kleinerer Formate gleicht dem Fotogra-  final betrachte und in eine Auflage überführe. Beide kämpfen
        fieren: Ich bestimme mit dem leeren Papier den Ausschnitt.   wir um eine dingliche Form zwischen Stottern und Lesbarkeit.
        Auf solche Komposition würde ich sonst nie kommen. Das   WF: Interessant wäre, unsere Späne zu vergleichen, die nach der
        Gefühl für Ränder und Abgeschlossenheit ändert sich.   Arbeit auf dem Boden liegen.
        Die EnBW-Kaimauer von 2008 mit 240 Metern Länge ist   BvH: Bei mir sind es wahrscheinlich zehntausende Stückchen, die
        vom Prinzip her ähnlich entstanden. Aus einer schwarzen   alle aber sehr gleichmäßig aussehen und sich im ganzen Haus
        Fläche heraus entwickelte ich die Weißstellen. Das war   verbreiten.
        ein enorm forderndes Projekt: keine Mitarbeiter*innen, zwei   WF: Die völlig unterschiedlichen Größen an Stücken hängen mit
        Monate Vorbereitung und dann drei Wochen Ausführung mit   den Werkzeugen zusammen. Ich passe meine Werkzeuge der
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