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BvH: Wann hast du das Gefühl gehabt, dass du wirklich eigen bist?
      WF: In Fellbach experimentierte ich viel, es entstanden Fotos
        und Videos, performativ und prozessorientiert. Mich inter-
        essierte, wie und warum etwas auf mein Papier kommt. Das
        konnte ja auch mit dem Fuß oder dem Mund sein, blind
        oder linkshändig! Was nehme ich für ein Medium? Wie gerät
        eine Linie ins Fließen? Als wirklich eigen fühlte ich mich
        um die Jahrtausendwende herum.
      BvH: Eine schwere Frage: Wann hattest du in den zurücklie-
        genden Jahre glückliche Lebensphasen?
      WF: Zwischen 1982 und 1986 besuchte ich wieder die Schule: erst
        die Mittlere Reife, dann das Abitur. In dieser Zeit blühte ich
        richtig auf, weil ich meinen Kopf wieder mehr beschäftigen
        durfte. Bis dahin hatte ich kein einziges Kunstmuseum von
        innen gesehen. Am Ende des Neustartes konnte ich mir sogar
        den Studienort aussuchen; toll war, dass ich die Eignungsprü-
        fung an fünf verschiedenen Akademien bestand: darunter
        Stuttgart, Frankfurt und Düsseldorf. Das Studium selbst
        empfand ich als großes Privileg. Reisen, Stipendien oder
        Artist in Residence-Projekte waren gute Zeiten. An das
        Mariposa-Projekt erinnere ich mich gerne. Der Galerist
        Hans-Jürgen Müller rief es Mitte der 80er Jahre auf Teneriffa
        ins Leben. Er nannte seine Initiative Zukunftslabor. Die Idee
        dahinter war die, Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Kunst
        zusammenzubringen, um über eine „bessere Welt“ nachzuden-
        ken. Hans-Jürgen war durch einen Zufall auf mich aufmerksam
        geworden und lud mich spontan für drei Monate ein. Zum
        ersten Mal hatte ich das Gefühl, ein anerkannter Künstler zu
        sein. Hans-Jürgen ist leider viel zu früh verstorben.
      BvH: Ein wichtiges Erlebnis war die Begegnung mit Franz
        Joseph van der Grinten.
      WF: Das war noch während meiner Studienzeit. Rudolph
        Schoofs führte Mitte der 90er Jahre Franz Joseph van der
        Grinten durch die Akademie, stellte ihm vielversprechende
        Studierende vor. Er war nicht nur leidenschaftlicher Joseph
        Beuys-Sammler, sondern auch von Schoofs und seinen Stu-
        dierenden. Van der Grinten war sehr angetan von dem, was
        ich machte, und schlug mir ein Tauschgeschäft vor: Beuys-
        Holzschnitte oder Arbeiten anderer Künstler wie Erwin
        Heerich, Ewald Mataré und Roy Lichtenstein gegen Folmer!
      BvH: Heute gibt es ein riesiges Konvolut von dir in Moyland,   o.T., 1999
        nämlich um die 80 Arbeiten.                             Monotypien, 45 x 71 cm
      WF: Es hätte so weitergehen können! Der Kurs lag – glaube ich
        – bei eins zu sieben, also ein Beuys gegen sieben Folmer. Für
        mich war das schon etwas ganz Besonders, einem Menschen
        zu begegnen, der Joseph Beuys so nahestand.
      BvH: Gerne würde ich von dir etwas über die Highlights der
        letzten 20 Jahren wissen.
      WF: Es gab in regelmäßigen Abständen Einladungen aus dem
        Ausland, aber auch Projekte hier in Deutschland. Zum Bei-
        spiel war ich in Lappland, in Amerika oder in China. Nur
        selten bewarb ich mich irgendwo direkt. In der Regel waren
        es Empfehlungen von jemandem, den ich kennengelernt
        hatte. Die Stiftung Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca.
        wurde 1981 von Miró selbst und seiner Frau gegründet.
        Dort erhielt ich 2009 einen Lehrauftrag.









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