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Trockenes Weiß
BvH: Ich möchte dir gerne Leinwände zeigen, die Themen sche Schokoladenkugeln gefügt, die ein Mädchen zeigen, das
enthalten, die mich bis heute beschäftigen. Die Handarbeit, mich an meine kleine Tochter erinnert. Beides wird eine Ein-
insbesondere das Stricken und Häkeln, faszinierten mich heit im Gold der Gläser.
als weibliche Zuordnung seit über dreißig Jahren. In „Herz- WF: Es sind Stellvertretergeschichten, die du entwickelst. Du
fehler“ etwa umstricke ich einen Penis und zwei Hoden. beseelst die Dinge und verarbeitest Erlebtes.
Immer geht es um den Schmerz über die Ruhigstellung von BvH: Gerade habe ich mir einen Wachhund aus Gips gekauft.
Frauen, um die Zeitverschwendung. Der Zwang von mir, Ich sammle viel und hoffe auf irgendwelche Verbundenheit.
Masche für Masche abzuhandeln, ist wie eine Bestrafung WF: Früher habe ich auch Dinge zum Zeichnen gebraucht. Heute
für die endlosen Vorgänge bei mir. Immer geht es auch um hole ich sie aus der Erinnerung.
Infragestellen des Materials, des Körpers, um Hüllen und BvH: Dir geht es auch nicht um die Oberflächenbeschaffenheiten!
Luft. Die Nimben um die Köpfe habe ich übrigens auch von WF: Überhaupt nicht, das unterscheidet uns. Du verbindest alles mit
den Grünewald-Engeln. Ich suchte ein Material für Licht allem, lässt die Dinge sich durchdringen, machst sie schwerelos.
und fand es in geschmolzenen Gummibärchen. BvH: Im Schwanenbild „Leda“ kannst du auch den Penis mit den
WF: Mir fällt auf, dass du gegenüber Grünewald kaum archi- Hoden schnell entdecken. Halbierte Birnen mit Cocktailspießen,
tektonische Elemente verwendest. gedehnte Marien, die die Farben des Umfeldes annehmen,
BvH: Früher gab es durchziehende, versehrende Regalsysteme, Schädelreihen wie bei James Ensor.
einklemmende Türen, Rahmungen, Fußböden. Was man Wenn wir über die Linie arbeiten, sind wir uns sehr nah. Die
auch oft in meinen Bildern des letzten Jahrzehnts findet, Gefühle, die sich von den Dingen übertragen und das Durch-
sind Deko-Hochzeitspaare, also das klischeehafte Verspre- dringen sind ganz ähnlich. Nur muss ich immer alles erschauen,
chen von lebenslangem Glück. Die kleinere Frau umschlingt auch beim Zeichnen, um nicht schematisch zu werden. Das
den Mann, wird geküsst und wirkt wie ein Anhängsel. gilt besonders auch für eine völlige Neubewertung der Farbig-
Es steckt darin immer Unbehagen, Witz und Ablehnung keit, etwa beim bläulichen Durchziehen der Adern in der
gegenüber diesen Rollenzuweisungen. Kitschelemente wie Haut. Meine Hand greift gefühlt in die Scheide.
turtelnde Schwäne, Rosen, Herzchen füge ich bewusst ein. WF: Es ist für mich sowieso immer wieder erstaunlich, mit wel-
Die Porzellanschwäne spiegeln dazu ein Abendrot! cher Selbstverständlichkeit du intime Geschichten ausbreitest,
WF: Ich bin jetzt mal näher herangegangen. Mir sind die ohne Scham.
Selbstportraits in den spiegelnden Scheiben aufgefallen. BvH: Ich möchte mir selbst keine Tabus auferlegen. Die Körper-
BvH: Das sind verrückte Sonnenbrillen! Dazu habe ich russi- gefühle beziehen sich auf Träume und Alpträume. Ich tue
Kunstmuseum Mülheim/Ruhr, 2005,
„Bettina van Haaren, Geordnete Aufstellungen“
Ordnungswille, 2001/2002, Türfüllungen, 2002,
Beckenauflage, 2002