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Herzfehler, 2012/2013,     es einfach und denke nicht darüber nach, ob die anderen   brochen mit der Nächtlichkeit deiner Panoramen. Da zeigt
       Eitempera/Öl auf Leinwand,   mich krank finden. Ich glaube, dass ich unbekleidet besser   sich auch Leere und Unbewältigtes.
       110 x 80 cm
                                  an mein Ich herankomme. Die Dinge schützen, etwa eine   WF: Es ist ein Zurückziehen von Leben in der Nacht und ein
                                  Baumrinde und nicht die klassische Kleidung.      Auftauchen von Unbekanntem. Die mir vertraute Umge-
                                WF: Bei mir beginnt die Malerei erst dann, wenn die Farb-  bung wird mir fremd.
       Leda, 2016,                flächen aneinanderstoßen. Das ist für die Interaktion der   BvH: Mit der Fotografie bist du atmosphärisch. Da geht es um
       Eitempera/Öl auf Leinwand,   Farbe wichtig. Deine Bilder funktionieren auf andere Weise.  Licht und Schatten. Ich mache genau das Gegenteil und aus
       110 x 80 cm
                                BvH: Ich konnte diesen klassischen Raum nicht mehr in mein   jeder Versuchsanordnung eine empirische Forschung. Ich
                                  Weltbild bringen. Ich musste schneiden, weil das meiner   untersuche die Dinge mit Unerbittlichkeit, mikroskopischer
                                  Wirklichkeitsauffassung entspricht. Vielleicht können meine   Schärfe, ohne Atmosphäre. Mein Weiß hat ein fast künst-
                                  Farbzusammenhänge wieder größer werden. Einschlüsse von   liches Licht.
                                  Weiß faszinieren mich; die Negativformen wirken genauso wie   WF: Das ist fast so, als würde man eine Operation machen, als
                                  die bemalten. Der Weißraum ist bearbeiteter Raum, wenn   würde man etwas sezieren.
                                  man die Umkehrung begreift! Es sind Performances und   BvH: Ich versuche durch das Wegnehmen das Bekannte zu ver-
                                  Installationen in einem White Cube. Dabei füge ich Dinge   wandeln. Hier etwa den Kürbis: Ich lasse das Volumen weg
                                  zusammen, wie es im Traum geschieht.              und er wird zum Herz. Ich werde überrascht durch die Ex-
                                WF: Seltsamerweise wirken deine Arbeiten nicht unvollendet.   traktion, indem ich das Ding aus dem Vertrauten heraushole.
                                  Ich habe nicht das Bedürfnis, dem noch etwas hinzuzu-  Es hat keinen Schatten und kein natürliches Umfeld. Der
                                  fügen. Das finde ich erstaunlich! Willst du manchmal nicht   Kürbis ist vertrocknet, verschimmelt und wird mir fremd.
                                  die reellen Dinge und den reellen Raum einbeziehen?   WF: Auch bei mir wird nachts einiges ausgeblendet. Etwa
                                BvH: Der Hund liegt zufällig berührend da, in einer fast   Bosch: Die Anlage wird beleuchtet und regelrecht frei-
                                  menschlichen Haltung. Ich liebe jedoch die Fläche mit der   gestellt von der Umgebung. Dein Forschen vereinzelt die
                                  notwendigen Abstraktion. Sie überführt in eine andere   Dinge, die nur noch auf indirekte Weise miteinander
                                  Zeitlichkeit und Musikalität. Die Betrachter*innen fügen   kommunizieren. Bei mir führt das Licht die Dinge zuein-
                                  Geruch, Geräusch und Oberflächengefühl selbst hinzu. Sie   ander und die Nacht drumherum umschließt sie.
                                  vervollständigen mit ihren inneren Bildern.     BvH: Schwarz und Weiß bieten uns Abstraktion!
                                  Für mich ist die Form, etwa der Rhythmus oder das Weiß,   Ich brauche diese klinische Beleuchtung, das Emotionslose
                                  genauso wichtig wie der Inhalt. Es war ein jahrzehntelanger   und Trockene im Weiß.
                                  Entwicklungsprozess von dem völlig geschlossenen Bild
                                  zum immer mehr erarbeiteten Weiß. Bernd Schwering und
                                  meine Mitstudierenden gingen vom geschlossenen Bild des
                                  Fotos aus. Ich will etwas anderes: das Spürbarmachen von
                                  Zeit, das Unvollständige. Du hast das Geschlossene durch-
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