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„Mach doch mal die Sitzheizung aus!“
Acryl auf Dispersion, 2,90 x 3,70 x 5,35 m, Z3 Contemporaries, Schwäbisch Hall, 26.03. – 19.06.2022
BvH: Wir denken darüber nach, welches Material wir für unsere WF: Unsere Bildideen stammen meistens von Zeichnungen
erste Kollaboration verwenden. Die hochpigmentierten auf Papier. Das Scannen dieser Arbeiten erlaubt uns sowohl
Farbstifte auf meinen Wandzeichnungen in Berlin oder die analoge als auch die digitale Entwurfsarbeit. Vermut-
Dortmund hüpften über Unebenheiten. Die Strichbreite lag lich kommen beide Verfahren zum Einsatz. Man könnte am
bei etwa zwei bis drei Millimetern. Computer die Gesamtsituation simulieren, also die Raum-
WF: Ich trug 2008 meine Linien im Kunstverein Ellwangen mit wirkung unserer Wandzeichnungen vor Ort. Dies alles ist
dem Pinsel auf Folie auf. Die scheinbar durchgezogenen uns beiden aus früheren Projekten nicht ganz fremd. Aber
Linien bestanden aus lauter einzelnen, kleineren Abschnit- ich habe es tatsächlich noch nie mit jemandem gemeinsam
ten, die dunkel begannen und langsam heller wurden. Nach gemacht. Dazu noch mit einer so guten Zeichnerin, die ganz
jedem Eintauchen musste ich exakt an der gleichen Stelle anders zeichnet als ich. Also eine echte Herausforderung!
wieder ansetzen, wo ich zuvor aufgehört hatte – ein medita- BvH: Es kann sein, dass wir erst mal Verlustgefühle haben
tiver Vorgang, den ich sehr mochte. Die Strichstärke betrug werden, weil jeder Schritt in Abstimmung geschehen muss.
etwa zwei bis drei Zentimeter! Du bist ein visionär denkender Zeichner mit einer hohen
BvH: Meine Idee wäre, dass die Linien auf unserer Wandzeich- Zügigkeit. Ich bin eher eine nachdenkliche Zeichnerin, die
nung den Linien unserer Hochdrucke entsprechen, also eine entschleunigte Arbeitsweise bevorzugt. Wir brauchen
etwa drei Millimeter. Inseln der Selbstständigkeit. Es ist unsere Idee, dass du
WF: In dem Punkt der Strichstärke auf der Wand sind wir mehr rechts und ich mehr links zeichne. So fängt jeder mit
uns einig – vorerst! Es kommt auch auf das Motiv an. Du seiner eigenständigen Vorstellung an. Beim Aufeinander-
zeichnest auf eine ganz andere Art und Weise als ich: viel Zuwachsen müssen wir behutsam miteinander umgehen,
langsamer, mit konzentrierten Linien, die sich nach und bevor sich unsere Zeichnungen durchdringen und ver-
nach durch eine Suche ergeben. Darin sehe ich ein Stocken schmelzen können.
und Überprüfen. Bei mir geschieht es oft in einem Zug, mit WF: Ich würde von einer Reibung, von einer Irritation im posi-
geschlossenen Formen. tiven Sinne sprechen, die wir uns einander erlauben. Wir
BvH: Jede Form, die ich setze, erspüre ich körperlich. Ich will stören uns mit großem gegenseitigem Respekt! Meine Holz-
während des Zeichnens das Wandbild neu denken. Die schnitte auf den Stämmen gehen viel weiter. Sie entstehen
Vergrößerung über einen Overheadprojektor gibt mir die aus einem Zerstörungsprozess heraus, bei dem ich mich von
komplex bedachten Achsen und eine Richtung vor. So Erreichtem wieder trenne, indem ich mit dem Beil ganze
bleibe ich also in der offenen, brüchigen Zeichnung, wie ich Bildpartien einfach wegschlage. Die Zerstörung ist eine
sie sonst vor Ort anfertige, und strebe nun eine variierende Störung mit größerer Radikalität. Es braucht dazu die innere
Schwärze an. Bereitschaft, vermeintliche Fortschritte und Resultate wieder
WF: Kannst du dir vorstellen, etwas von der Vorlage abzuwei- in Frage zu stellen. Der scheinbare Verlust an Erzieltem ent-
chen oder wegzulassen, um der Zeichnung einen Freiraum puppt sich in Wahrheit als Zugewinn, denn diese offene und
für Veränderung zu geben? dem Neuen zugewandte innere Haltung bewahrt vor Wie-
BvH: Ausgelassen wird eine ganze Menge. Dazukommen wird derholung und Stagnation. Bezeichnenderweise nannte ich
wahrscheinlich fast nichts. Bei den Wandarbeiten ent- eine Ausstellung von mir, die sich mit der Sterbebegleitung
spricht es absolut dem Vorgehen meiner Hochdrucke. Der auseinandersetzte, „ars solvendi“, die Kunst des Loslassens.
Hochdruck erlaubt immer das Wegnehmen, aber definitiv Von daher spreche ich nicht von einem Gegeneinander-
kein Dazusetzen. Am Ende habe ich einen Kampf um den Arbeiten oder gar Zerstören, sondern von Angeboten, die
Leerraum, welcher bei den Hochdrucken und Wandbildern wir uns gegenseitig machen. Diese lassen sich annehmen
gleich wichtig ist. Bei Letzteren werde ich zunächst viel oder verweigern.
weglassen und lange überlegen, ob diese Partie überhaupt BvH: Es ist auf jeden Fall ein ganz großes Abenteuer. Wir
ausgeführt werden muss. hoffen, dass wir uns beide durch das gemeinsame Agieren
WF: Genau da wird es interessant: Diese Leerräume könnten weiterbringen, weil unsere Vorstellungen und Erwartungen,
theoretisch mit meinen Motiven und Linien durchdrungen was das Ergebnis innerhalb des künstlerischen Prozesses an-
werden. belangt, unterbrochen und neu belebt werden. Überlagerun-
BvH: Die großen Achsen der Komposition sollten stark ab- gen könnten durch dich in meine Arbeit Einzug halten, was
geklärt sein. Mir schweben hierbei Bereiche vor, die an der ich bisher vermieden habe. Wir beschlossen, keine Fläche zu
Decke, dem Boden oder anderen Wänden anstoßen. Wenn setzen und uns auf Linien zu beschränken. Farbe oder Licht-
man genau hinschaut, soll die Unterschiedlichkeit unse- effekte erscheinen uns als nicht notwendig.
rer Liniensetzungen sichtbar sein. Wir sollten uns nicht WF: Unsere Absprachen sind notwendige „Spielregeln“. Sie
angleichen. Es wird bei mir immer ein Stottern geben, beschreiben die Einigung auf ein Medium, die Verwendung
kleine Öffnungen. Bei dir wird der Wunsch nach Straffheit, unserer graphischen Sprachen und die Planung. Es kommt
Schließung und Gespanntheit sein. Wir sollten erst eine auf die gegenseitige Bereitschaft an, von Gewohntem und
Planung haben und dann schauen, wie wir gegenseitig auf- Vertrautem abzurücken zu Gunsten einer gemeinsamen
einander zugehen können. Das Weglassen beziehungsweise übergeordneten Idee.
Addieren wird sehr vorsichtig im Prozess geschehen. BvH: Momentan ist es ein Trend, als Künstlergruppe zu arbei-
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