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Frühe Bilder
BvH: Ich arbeitete in den 80er Jahren auch mit Fotomaterial.
In großen Zeichnungen entwickelte ich Körperhaltungen.
Lagernde Steinskulpturen der Etrusker wurden Inspirations-
quelle. Ich setzte mich malerisch mit dem Frausein, der
Schwangerschaft, dem Gebären auseinander, weil ich selbst
so hin- und hergerissen war, ob ein Kind in mein Leben
passte. Bäuche hängen, Kindkörper rutschen aus mir heraus.
Die Ich-Figur ist durchlässig.
Die Bilder der Jahre um 1990 herum sind graphischer als die
„Neuen Wilden“. Ich verschatte Farben durch Kohlepartien.
Alles ist prozessual, flächig und offen in der Zuschreibung.
Zentral sind einfache Körperhaltungen einer Ich-Figur, etwa
eine archaisch Stehende oder Liegende. Dazu erscheinen Große Schwangere, 1989,
Objekte wie ein Waschbecken, ein Becken mit Wasserknöte- Eitempera/Öl auf Leinwand,
rich, eine Agave, Anthurien, Wurzelpakete, eine Schürze mit 185 x 155 cm
Goldfischmuster oder ein Pelz.
Die mythologischen und christlichen Themen finden sich
auch hier schon: die Leda, die Daphne, die Venus, das Urteil
des Paris, die Taufe Christi.
Parallel entstanden immer Zeichnungen direkt vor Ort,
etwa von Schwänen im Tiefen See in Potsdam, wo ich ein
Stipendi um hatte, von etruskischen Grabfiguren mit ihren Stehende, verschattet,
1989, Eitempera, Öl und Kohle auf
gelagerten Bäuchen. Ich nahm ganze Partien weg und löschte Leinwand, 188 x 156 cm
aus. Von 1990 an suchte ich immer mehr den Weißraum auf
der Leinwand.
WF: Im Holzschnitt klärst du stärker als in der Malerei. Du bist
entschiedener.
BvH: Der Holzschnitt zwingt mich zum Skulpturalen und damit
zur Klarheit. Die Malerei sollte damals expressiver sein. Ich
arbeitete in die feuchte Ölfarbe oder wusch sie mit Terpen-
tinöl wieder aus und spachtelte die Ölfarbe. Auf der Fläche
wurde ich eher performativ und wollte meinen Körper aus-
waschen. Die Leinwand drehte ich während des Arbeitens.
WF: Du bist schon Bettina van Haaren! Zunächst sind deine
Bilder eher ornamental oder musterhaft, jedoch wirst du
immer gehaltvoller.
BvH: Die Arbeiten aus der Mitte der 90er Jahre zeigen oft
Geburt, das Ausfließen, das Ausscheiden zwischen den
Beinen, das Herausfallen wie aus einem Trichter. Unsere
Tochter kam 1993 auf die Welt. Paula war ein Wunschkind.
Doch das Muttersein veränderte einiges: Die täglichen
Arbeitszeiten im Atelier wurden kostbar und die Nächte
kurz. Über textile Strukturen entstanden Bahnen, die wie
Körperflüssigkeiten aus der Scheide drangen. Die Sitzhaltung
der Ich-Figur bezog sich fast immer auf die „Susanna im
Bade“ von Rembrandt. Viele Figuren dieser Papierarbeiten
waren Daphnes, verwundet und durchbohrt (vgl. S. 54 – 57).
WF: Deine Bildgegenstände vereinzeln sich immer mehr. Die
Ich-Figur wird differenzierter.
BvH: Ab 1994 arbeitete ich auf Packpapier, etwa 125 mal 105 cm.
Ich wurde realistischer auf der glatten Oberfläche. Die
Figuren verweben sich mit Tannenzweigen. Die Ichfigur hat
in den leeren Eierschalen ein verlassenes Nest neben sich.
Immer hat es mit schmerzhaften Erfahrungen zu tun. Auf
den großen Leinwänden breite ich mich selbst aus, erwärme
mich an einem Tauchsieder, so dass eigentlich Brandwunden