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licher könnten unsere Aktivitäten der frühen Jahre nach der Meine Projekte mussten ja die Stadtverwaltung, den Bürger-
Jahrtausendwende kaum sein. Was haben dir die Einblicke in meister, den Förderverein, die Eltern, die Lehrkräfte und
andere Forschungs- und Lehrbereiche gebracht? nicht zuletzt die Teilnehmenden überzeugen. Vieles von dem,
BvH: Ich habe die Möglichkeiten von Kooperationen in der was damals an Kunst am Bau oder im Außenbereich entstan-
Fülle genutzt! Schon bald gestaltete ich „Forschungs- den war, existiert noch. Kinder, die in meinen Projektwochen
kaleidoskope“ mit so unterschiedlichen Disziplinen wie dabei waren, sprechen mich heute als Erwachsene auf der
Maschinenbau, Volkswirtschaft, Physik, Raumplanung, Straße an.
Philosophie, Musik und Kunst, zu den Themen „Neu- Vielleicht war das Prägendste von allem, dass ich Einblicke
bewerten von Vorhandenem“ oder „Für eine Stunde nach in zahlreiche Einrichtungen und Organisationen, auch an
Kyoto“, also dem Sinn des Reisens für die Forschung. Das sozialen Brennpunkten hatte.
waren herrlich anregende Vortragsreihen. Ich bot gemein- Du blickst auf 20 Jahre Lehre an der TU Dortmund zurück.
same Seminare mit der Architektur, der Raumplanung, der Bist du immer noch neugierig auf die jungen Menschen?
Kunstwissenschaft oder der Ökonomie an. Immer ging es BvH: Die Lehre macht mir glücklicherweise immer noch so
um Erweiterung der Perspektiven in beiden Forschungs- viel Freude wie zu Beginn. Immer noch bin ich neugierig!
gebieten. Wie gelingt z.B. gute, sprachliche Raumbeob- Wenn Studierende die Uni verlassen, nachdem sie weit
achtung, wie zeichnen Architekt*innen oder Maschinen- über ihre eigenen Erwartungen gewachsen sind, vermisse
bauer*innen, wie funktioniert der Kunstmarkt, bedeutet ich sie. Großartige Entwicklungen und Begabungen gab es
finanzieller Erfolg wirklich künstlerische Qualität, oder wie in allen Jahren. Schön ist es, dass viele Ehemalige freund-
wirkt wissenschaftliche Forschung auf das künstlerische schaftlich mit mir verbunden bleiben. Die Pandemie hat
Tun? Am Ende standen zwanzig Publikationen, sehr viele leider zu Abbrüchen und psychischen Belastungen geführt.
Ausstellungen mit Studierenden oder Tagungen. Berei- Mit einem großen Arbeitsaufwand entwickelte ich gemein-
chernd empfand ich es auch, mit Studierenden in Museen, sam mit meinem Team einen riesigen Pool an digitalen
in Unternehmen oder im Stadtraum zu arbeiten, sich der Anregungen im Intranet der Hochschule: Filme, Arbeits-
sozialen Realität auszusetzen, also die mediale Vermittlung anleitungen für Techniken, künstlerische Präsentationen
nicht dazwischenzuschalten. Die fast jährlichen Zeichen- mit Bildteppichen aus vielen Jahrhunderten, Essays, Filme.
exkursionen nach Italien, Österreich, Frankreich, Polen, Diese digitale Erweiterung wächst auch nach der Coronazeit
New York oder Leipzig haben viele Studierende nachhaltig weiter und ist äußerst hilfreich.
geprägt. Diese entschleunigte, äußerst intensive Art der WF: Auch wenn meine letzte Frage schwer zu beantworten ist:
Wahrnehmung setzen einige auch nach dem Studium an Glaubst Du, dass deine Lehrtätigkeit indirekt auch Auswir-
fremden Orten fort. Mir geht es um das Kennenlernen der kungen auf deine eigene Arbeit hatte? Haben dich studenti-
Kunst als Lebensform. sche Arbeiten auf Ideen gebracht oder die Diskussionen mit
Du hast Lehrerfahrungen in China, Mallorca und in vielen jungen Menschen angeregt, etwas auszuprobieren, das ohne
Institutionen. Wie hat dich das geprägt? diese Begegnungen so nie entstanden wäre?
WF: Ich bekam Ende der 90er Jahre das Angebot von der Auf mich wirkt dein Werk eher davon unberührt.
Haller Akademie der Künste in Schwäbisch Hall, dort zu BvH: Das ist nicht einfach zu beantworten! Möglicherweise
unterrichten. Erst mit Workshops und Vorträgen, später entfernte ich mich bewusst von allem, das ich lehrte. Ich
auch an der Sommerakademie. Daneben gab es zahlreiche glaube, ich versuche die Anregungen im formalen Bereich
Zusammenarbeiten an ganz unterschiedlichen städtischen, zu brechen. Die Inhaltlichkeit ist sowieso weit weg von
staatlichen und privaten Einrichtungen. Dazu zählten Kin- studentischem Erleben.
dergärten, Jugendkunstschulen, Grund- und Hauptschulen,
Gesamtschulen, Realschulen, Gymnasien, Sonderschulen,
psychiatrische Kliniken, Einrichtungen für Menschen mit
körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, Hochschu-
len und Akademien. Dabei hatte ich mich im Studium be-
wusst gegen ein Lehramt entschieden, weil ich dachte, dafür
ungeeignet zu sein. Doch die vielen Anfragen und wieder-
holten Lehraufträge gaben mir das Gefühl, den Menschen,
die mir anvertraut wurden, weiterhelfen zu können.
Ich denke, dass meine Kreativität von dem Umgang mit
Menschen profitiert hat. Auch das Streben, immer neue
Erwerbsmöglichkeiten erschließen zu müssen, führt ja zu
einem offenen Denken.
Später kamen Angebote aus dem Ausland dazu. An den
Lehrauftrag an der Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca
z.B. erinnere ich mich sehr gerne. Ich unterrichtete in den
Atelierräumen von Miro. An den Wänden waren noch die
Kohlezeichnungen von ihm zu sehen. Die chinesischen
Studierenden waren äußerst neugierig. Es waren immer
finanzielle, technische und logistische Herausforderungen.
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