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seits. Als mein Vater Albert meine Mutter Agnes heiratete
und ich auf die Welt kam, ging Maria zurück zu ihrer Fami-
lie. Maria lebte in einem selbst auferlegten Zölibat.
Ich glaube, sie sah sich ihrem Namen verpflichtet. Die zweite
Ehe meines Großvaters blieb demzufolge kinderlos.
Zwei von diesen Schwestern waren verheiratet und hatten
Kinder, zwei blieben ledig. Manfred, der Ehemann von
Martha, kaum verheiratet, kam bei einem Grubenunglück
ums Leben. Witwe Elfriede heiratete kein zweites Mal.
Manfred ist auf dem Hochzeitsfoto über dem Bett meiner
bettlägerigen Stiefgroßmutter zu sehen. An dem Tag, als
Manfred starb, fiel bei uns zu Hause die Kuckucksuhr von
der Wand. Meine Mutter sah darin ein Zeichen Gottes.
Heute würde man von einer großen Wohngemeinschaft
sprechen, in der meine Verwandtschaft lebte. Über allem
stand eine strenge Glaubensauffassung, der alles unterge-
ordnet wurde. Die vielen Schicksalsschläge, die diese enge
Lebensgemeinschaft hinzunehmen hatte, führten dazu,
dass sie sich immer weiter in eine Strenggläubigkeit flüch-
teten, als wäre alles Leid eine einzige göttliche Prüfung.
BvH: Was hat dich an diesen Personen so sehr interessiert?
WF: Eigentlich nichts. Sie waren in gewisser Weise ohne
Eigenschaften. Es war die Langeweile in diesem Haus, die
mich anzog.
BvH: Wie habt ihr denn die Besuchszeiten verbracht?
WF: Meine Mutter war sofort in Gespräche verwickelt, meistens
ging es um den Papst, die Kirche oder wer gestorben war.
Als Kind spielte ich dort mit Krippenfiguren, Rosenkränzen
oder Marienstatuen. Mehr an „Spielzeug“ existierte nicht. Es
gab noch zwei Kinder: „us“ Beate und Wolfgang.
BvH: Bei der Serie zu deinem Elternhaus in Großrosseln ist da-
gegen kein Mensch zu sehen. Da sind ausschließlich Dinge.
WF: Im Zentrum des Bildes vom Schlafzimmer meiner Eltern
„lichterloh“, 2022
Galerie Palais Walderdorff finden wir das Kreuz, das sich im Frisierschrank spiegelt.
Bosch, 2020,
Fine Art Print, 100 x 714 cm