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Kunsthalle Schweinfurt, 2016/2017

        Dann gibt es ja auch noch unsere Kunst-am-Bau-Projekte!   zurechtzukommen. Treppenaufgänge teilten die Mauer
        Wir waren heute in Walheim an deiner Kaimauer. Es über-  in sieben gleichgroße Segmente. Ich nahm mir also jedes
        raschte mich, wie wirksam sie in der Landschaft ist, obwohl   Segment einzeln vor und machte davon einen gerasterten
        durch die Kohle und die Verwitterung der Kontrast etwas   Plan. Jeder Strich wurde in Länge und Dicke vermessen,
        abgenommen hat. Du hast noch einmal ausgeführt, dass   umgerechnet und bemaßt. Ein ungeheurer Aufwand, der
        du dich an den Mikrostrukturen von Borkenkäfergängen   sich aber später an der Wand auszahlen sollte, denn ich
        orientiertest. Es ergibt sich dadurch etwas Landschaftliches.   hatte nicht mehr als einen Meter Abstand zur Kaimauer
      WF: Die Entwürfe zu meiner Kaimauergestaltung entstanden   und im Rücken den Neckar in drei Meter Tiefe. Am Ende
        am Bildschirm. Ich hatte Jahre zuvor im Wald die Fraßspu-  sah die Kaimauer wie auf meinem Modell aus.
        ren von Borkenkäfern auf Holzstämmen abgedruckt. Die   BvH: Meine Kunst-am-Bau-Projekte waren dagegen eher klein!
        Larven fressen sich sternförmig aus der Eiablage unter der   Zeichnungen auf Holzplatten in einer Taufkapelle (etwa 4 x
        Rinde vor und bringen so den Baum zum Absterben. Diese   4 m) und in einer Geburtsklinik (2,60 x 5 m). Mich reizte es
        Larvengänge sind äußerst reizvolle graphische Gebilde und   sehr, meine Themen in den kirchlichen und medizinischen
        resultieren rein aus dem natürlichen Fressverhalten der   Kontext zu geben: eine weibliche Figur mit einer riesigen
        Tiere. Mit der gleichen künstlerischen Absichtslosigkeit   Nabelschnur, Fische und Brotscheiben wie bei der wunder-
        wollte ich arbeiten (vgl. S. 78 – 81). Ich legte mir also eine maß-  samen Brotvermehrung Jesu.
        stabgerechte schwarze Fläche auf meinem Rechner an und
        zeichnete mit dem Radierwerkzeug so, als wollte ich, dem
        Borkenkäfer gleich, mich fressend fortbewegen. Heraus
        kamen diese Linien und Flächen auf der Kaimauer.
      BvH: Du hast deinen Entwurf mit durchdachter Logistik selbst
        ausgeführt, sodass man respektvoll den Hut zieht. Es sind
        7,5 x 240 Meter (vgl. S. 78/79)!
      WF: Von Anfang bis Ende hatte ich alles ohne fremde Hilfe
        bewältigt. Ich baute mir ein fahrbares Gerüst, das mit Win-
        den höhenverstellbar war. In meinem Atelier erstellte ich              Stadtgalerie Saarbrücken,
                                                                               mit Oskar Lafontaine, 1997
        ein Modell, um mit den Proportionen und den perspektivi-
        schen Verkürzungen durch die Schräglage der Mauer besser               Universitätskliniken, Homburg/Saar,
                                                                               2,6 x 5 m, 1998
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